Agrigento

Quellen:
Text:  Kapitel 6Reisebericht "Aus Sizilien" von , erschienen
Überschriften, Bilder und Kommentare:  Britta Bohn
Veröffentlicht am:  24. März 2012
Letzte Änderung:  13. Mai 2020

 

Das Albergo Gellia


Von dem Reichtum des alten Akragas lesen wir bei den griechischen Schriftstellern wunderbare Dinge. "Die Akragantiner schwelgen, als sollten sie morgen sterben, und bauen Häuser, als wollten sie in alle Ewigkeit leben", sagte man von ihnen· "Der wahre Repräsentant aber des akragantinischen Luxus war der reiche Gellias, von Person unansehnlich, aber geistreich und von königlicher Munificenz. In seinem Hause waren zahlreiche Fremdengemächer, und an seiner Thür standen Sklaven, die alle des Weges kommenden Fremden zu ihm einluden.

Zur Winterszeit kamen einmal 500 Reiter aus Gela nach Akragas; Gellias nahm sie alle in sein Haus und ließ auf der Stelle an jeden ein Ober- und Untergewand, die in seinen Kisten bereit lagen, austeilen«. Bis auf den heutigen Tag findet der Fremde Aufnahme bei einem akragantinischen Gellias, und wenn die Bewirtung des nach dem freigebigen Griechen benannten Albergo auch nicht mehr gratis ist, und Gastgeschenke nicht mehr vom Wirte, sondern vom scheidenden Gaste gereicht werden, so wird doch jeder gern mit dem Gebotenen zufrieden sein.

Das Schönste aber im Albergo Gellia ist die Aussicht von der Terrasse. Wer das Glück hat, kurz vor Sonnenuntergang zum ersten Male aus sie hinauszutreten, hat einen unvergeßlichen Anblick. Man steht inmitten des modernen Agrigento, dessen gelblich schimmernde, eng, zusammengedrängte Häuser zur Linken noch höher emporsteigen.

Denn auch diese Stadt ist so klein geworden, daß sie nur den Raum der alten Akropolis ausfüllt. Dort auf der geneigten Ebene, wo einst Akragas lag, breiten sich jetzt grüne Saatgefilde und Gärten aus, in weitem Halbkreise von einer Mauer eingefaßt: es ist die alte Stadtmauer. An ihrem äußersten Rande ragt ein wohlerhaltener griechischer Tempel hervor, und nicht weit davon ein anderer, halb zusammengesunken. Die Stadtmauer ruht auf dem Saume eines steilen Abhangs; jenseit desselben beginnt die nicht breite Strandebene, und dann, schweift das Auge auf die stahlglatte Meeresfläche hinaus. Dort lag Karthago, dessen Flotten der Griechenstadt den Untergang brachten.

 

Das Tal der Tempel


Frühmorgens am nächsten Tage machte ich mich auf die Wanderung in das Tal der Tempel. Obgleich man sie aus weiter Ferne sieht, so entschwinden sie doch beim Weitergehen wieder dem Auge, und wenn man endlich bei einer Wendung des Weges plötzlich vor dem kleinen Hügel steht, auf dem sich der Concordia-Tempel erhebt, wird die Seele von Staunen und Ehrfurcht erfüllt.

Wer hätte auch in dieser Einsamkeit einen griechischen Tempel erwartet, der nächst dem des Theseus in Athen der besterhaltene aus dem Altertum ist? Er stammt aus einer Periode des dorischen Stiles, wo dieser seine ursprüngliche erhabene Würde bereits durch ein Element der Anmut gemildert hatte.

Daß wir den Tempel noch in seiner ganzen Schönheit vor uns sehen, verdanken wir jenem Bischofe von Agrigento, der im 15. Jahrhundert das heidnische Bauwerk dem heil. Gregorius weihte. Seitdem hat keine frevelnde Hand ihn angetastet, und wie die griechischen Männer, die ihn errichteten, steigen wir die vier Stufen zu ihm hinauf, durchschreiten seine Säulenhalle und treten in die Cella ein, fromm den Genius des Volkes verehrend, das solche Werke geschaffen hat.

Welchem Gotte er aber erbaut war, fragen wir vergebens, der römischen Concordia sicher nicht. Das Material des Baues ist nicht Marmor, sondern ein Bimsstein, der einst vom Meere umspült war, denn zahlreich sind die Schalen von Seetieren in ihn eingesprengt. Seine rauhe Oberfläche, die zudem an der Südseite leichter Verwitterung ausgesetzt war, mag wohl der Hauptgrund gewesen sein, weshalb schon die alten Baumeister die Säulen mit einem Stukko überzogen, dessen Reste noch zu erkennen sind.

Nimmt man dazu, daß dieser Stucküberzug mit bunten Farben bemalt war, so wird man zugeben, daß der Tempel einst eine andere Wirkung auf den Beschauer machen mußte, als jetzt, wo seine Säulen eine fast bernsteinartige Farbe angenommen haben. Wie der Concordia-Tempel ist auch der einige hundert Schritt östlich von ihm liegende sogenannte Hera-Tempel ein regelrechter Peripteros mit 6 Säulen in der Front und je l3 an den Längsseiten. Aber schon bei diesem Bauwerke muß man die Phantasie zu Hilfe rufen, um es in seiner früheren Schönheit zu sehen.

Am besten ist die Nordseite erhalten, wo der Architrav noch auf den Plinthen ruht, am schlechtesten die Südseite. Die beiden nächsten Tempel, der des Herakles und der des Zeus, sind vollends Ruinenhaufen. Von dem ersteren steht nur noch eine einzige Säule ohne Kapitell aufrecht da, dicht neben einem wetterfesten Olivenbaum – ein wirkungsvolles Bild der immer jungen Natur, die über die stolze, gegen sie ohnmächtige Kunst triumphiert.

Die Säulen sind nicht ganz regellos gefallen, als sie von jenen unterirdischen Mächten niedergestreckt wurden, deren fortwährende Herrschaft jeder Winkel Siziliens bezeugt; aber trotzdem wollte es meinem Auge nicht gelingen, ein Bild der ursprünglichen Ordnung und Symmetrie zu gewinnen.

Noch formloser ist der Ruinenhaufe des Zeustempels, der weit gestreckt daliegt, "wie die Knochenmasse eines Riesengerippes" (Goethe). Mit ihm sind die denkwürdigsten Ereignisse aus der Geschichte der sizilischen Griechen verknüpft. Es war ums Jahr 480 v. Chr., als der Orient sich aufmachte, um das Hellenentum zu vernichten. Von Osten zogen die Heeresmassen des Xerres heran, und von Westen landete eine starke karthagische Flotte an Siziliens Küsten.

Aber in der ruhmvollen Schlacht bei Himera siegten die diesmal einigen sizilianischen Griechen über die Semiten; Hamilkar tötete sich selbst, und unzählige Gefangene gerieten in die Hände der Sieger. Damals begannen die dankbaren Akragantiner, dem siegverleihenden Zeus dieses gewaltige Heiligtum zu erbauen. Es sollte an Größe und Pracht alles übertreffen, was je griechische Männer auf Sizilien gebaut hatten. Zwanzig Gigantenfiguren stützten das Mittelschiff – eine von ihnen liegt noch an Ort und Stelle -, Sinnbilder der besiegten rohen Barbarenkraft.

Aber die Gottheit nahm das Weihgeschenk nicht an. Noch bauten die Akragantiner an ihrem Zeustempel, da zogen im Jahre 406 der furchtbare Himilkon und der Enkel des bei Himera besiegten Feldherrn, Hannibal, aufs neue heran, um Akragas zu vernichten. Diesmal siegte Baal über Zeus. Zwar war die Stadt trefflich befestigt; aber die Söldner der Akragantiner erwiesen sich als unzuverlässig: sie zogen ab oder gingen gar zum Feinde über.

"Der Abfall sämtlicher Bundesgenossen brachte die Akragantiner von Sinnen. Statt den Versuch zu machen, die nicht eingeschlossene Stadt besser zu verproviantieren – es hätten ja Weiber und Kinder abziehen können -, ward das Unglaubliche beschlossen, Akragas, dessen Mauern noch unerschüttert standen, zu räumen. In einer Nacht zog fast alles, was noch gehen konnte, aus Akragas fort . . . Die Flüchtlinge gelangten ohne Unfall nach Gela. Manche hatten es jedoch nicht übers Herz bringen können, so feige die Stadt zu verlassen; sie töteten sich selbst. Einige waren in die Tempel geflüchtet oder sonst zurückgeblieben. Als nun bei Tagesanbruch Himilkon in die Stadt einzog, ließ er alle, die er fand, auch die in den Heiligtümern töten" (Holm nach Diodor).

Nur 174 Jahre hatte Akragas gestanden, als es von diesem Schlage getroffen wurde. Es hat sich nie völlig davon erholt, und wenn es auch später wieder emporkam, so fehlte doch der Mut, den Tempel fertig zu bauen.

Tritt man von dieser Stätte aus an die alte Stadtmauer, die teils aus dem natürlichen Felsen gehauen, teils aus großen Blöcken zusammengeschichtet ist, so erblickt man in der Tiefe, die zum Meere hinabführt, ein anderes antikes Bauwerk. Auf einem großen, oben mit einer Ausladung versehenen Würfel ruht ein zweiter, sich merklich verjüngender, dessen Ecken mit ionischen Pilastern und dessen Seiten mit Fensterblenden verziert sind.

Die Überlieferung bezeichnet es als das Grabmal Therons. Ob aber der ruhmvolle Herrscher von Akragas wirklich in diesem plumpen Grabe bestattet worden ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Die Bauart weist auf eine viel spätere Entstehungszeit hin, so daß selbst die von verschiedenen Seiten ausgesprochene Vermutung, ein reicher Akragantiner habe das Monument seinem in den olympischen Spielen als Sieger ausgerufenen Rosse zum Andenken setzen lassen, schwerlich haltbar ist.

Die geschilderten vier Tempel sind nicht die einzigen, die sich einst am Rande der Stadtmauer erhoben. Dicht neben dem Zeustempel lag ein fünfter am Boden, bis man sich vor einigen Jahren daran machte, vier von den Säulen der Nordwestseite nebst dem zugehörigen Steingebälk wieder aufzurichten. Welcher Anblick für das Auge, als noch alle diese erhabenen Bauten in unversehrter Schönheit auf das blaue Meer hinausschauten! Darüber gewahrte der landende Schiffer das weiße Häusergewirr der Stadt, die langsam den Burghügel hinanstieg, und auf dem höchsten Punkte der Burg abermals Tempel, die Tempel der stadtschützenden Götter Zeus und Athene.

 

Der Dom von Agrigento


An ihrer Stelle erhebt sich jetzt der Dom, ein seltsames, ganz spanisches Bauwerk. Schwerlich würde der fremde Besucher die etwa tausend Fuß zu ihm emporsteigen, wenn ihn nicht auch hier ein antikes Denkmal lockte. In der "aula capitolare" steht ein berühmter Sarkophag, mit Scenen aus der Sage von Hippolytus und Phädra. In alten Zeiten, wo man sich bei dergleichen Vermengungen nicht viel dachte, diente er als Taufbecken.

Der Kirchendiener war gleich bereit, ihn mir zu zeigen, aber trotz aller aufgewandten Mühe wollte sich die Thür nicht öffnen lassen, und ich fürchtete schon, unverrichteter Sache umkehren zu müssen, als ein anderer Schlüssel gefunden wurde, der den Eingang ermöglichte. Inmitten des schmucklosen Raums steht das berühmte Meisterwerk. In vier Bildern stellt der Sarkophag die Sage dar. Wir sehen Phädra im Kreise ihrer Dienerinnen sitzen; Hippolytus aber zieht inzwischen mit seinen Gesellen zur Jagd hinaus; da erscheint die Amme der Königin und überbringt ihm den Liebesbrief ihrer Gebieterin; endlich wird der Untergang des Jünglings durch ein Meerungeheuer dargestellt.

Am schönsten ist dem Künstler die erste Scene gelungen. Phädra, eine herrliche Gestalt, wird von der verhängnisvollen Leidenschaft so verzehrt, daß sie fast zusammenbricht; kaum hält der linke Arm sie noch aufrecht, während der rechte von einer ihrer Jungfrauen gestützt wird. Unnachahmlich schön ist die kraftlose Erschlaffung ausgedrückt, die trostlose Verzweiflung, welche zwei andere Dienerinnen vergebens durch Saitenspiel zu lindern suchen.

Neben der Königin steht die Amme, von unten aber blickt Amor schadenfroh zu der Besiegten auf. Trotz des leidenschaftlichen Gegenstandes nirgends ein Übermaß hin der Darstellung: auch hier ein Nachklang jener edlen Einfalt und stillen Größe, in der Winkelmann mit Recht das Wesen der griechischen Plastik sah. Es ist das um so bemerkenswerter, als der Sarkophag sicher nicht so frühen Ursprungs ist, wie man oft meint.

Die Blüte der Sarkophagbildnerei fällt in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wo das Beisetzen der unverbrannten Leichen wieder mehr in Aufnahme kam. Damals durchforschten die Künstler den ganzen mythischen Sagenkreis und fanden ihn überall geeignet für ihren Zweck, denn "überall führt die Erzählung der Heldenlaufbahn zu dem Ziele des heroischen Todes hin" (L. v. Sybel).

Wer aber in diesem kostbaren Grabe geruht hat und weshalb man gerade diesen Gegenstand als Schmuck wählte, das wäre zwar sehr interessant zu wissen, aber wir werden es nie erraten. Ganz ohne Beziehung zu dem Geschicke des Verstorbenen war der Gegenstand der Darstellung schwerlich.

 

Der Athenefelsen


Um vom hochgelegenen Dome nach dem Athenefelsen (rupe Atenea) zu gelangen, muß man in eine tiefe Senkung hinabsteigen. Ihre Entstehung wird von der Überlieferung auf Empedokles zurückgeführt. Wie Empedokles in Selinunt auf seine Kosten das Wasser zweier Flüsse in einen pesthauchenden Sumpf leiten ließ und dadurch den Seuchen in der Stadt ein Ziel setzte, so soll er in Akragas den hohen Felsenrücken durchbrochen haben, um dem erfrischenden Nordwinde einen Zugang zu schaffen und dadurch seinen Mitbürgern zu nützen.

Dieser merkwürdige Mann war aber nicht nur Ingenieur und Arzt, er wollte vor allem aufklärend und sittlich bildend wirken. Sein teilweise erhaltenes Lehrgedicht spricht, wenngleich in dichterischer Umhüllung, Gedanken aus, die der Wissenschaft unserer Tage nicht gar ferne stehen. Daß er sich auch als demokratischer Staatsmann hervorthat, indem er die Aristokratie von Akragas demütigte und die bürgerliche Verfassung begründete, hat den heutigen Bewohnern seiner Vaterstadt Veranlassung gegeben, ihn wie einen antiken Garibaldi zu ehren. So heißt denn nicht nur der neue Hafen von Agrigento nach ihm Porto Empedocle, sondern auch sonst begegnet man seinem Namen häufig.

Der Blick von dem höchsten Punkte des Athenefelsens ist wieder höchst bedeutend. Es ist eine völlige Rundsicht. Man sieht das Meer, das wie ein starrer, glänzender Spiegel daliegt, Porto Empedocle mit seinem Hafendamme, der zum Teil aus den Trümmern des Zeustempels gebaut ist, die beiden kleinen Flüsse, von denen die fast viereckige, nach Süden sich senkende Hochfläche Agrigentos eingeschlossen wird, die geneigte Ebene mit ihren Feldern und Fruchtbäumen, ihren Mauerresten und schimmernden Tempelruinen.

Und wendet man sich nach Norden, so schaut man weit hinein in das Innere des sizilianischen Landes, wo die Wälder mit ihren rauschenden Quellen verschwunden sind und Saatfelder mit kahlem Gestein und mannigfach geformten Felsenzinnen abwechseln. Da es Tags zuvor geregnet hatte, so lag alles in leuchtender Klarheit vor mir, dazu ging ein frischer Wind, so daß ich zu den 12 Grad Wärme, die es diesen Morgen gab, gern noch einige mehr genommen hätte.

Am Nachmittag zog es mich noch einmal nach den griechischen Tempeln. Diesmal war ich nicht allein: eine ganze Schar von bettelnden Jungen begleitete mich; "einen Soldo schenkt mir, Herr! – ich sterbe vor Hunger! – ich habe Vater und Mutter verloren! – Herr, wollen Sie den Dom sehen? – Herr, dies ist der Concordiatempel" – so ging es die ganze Zeit über unablässig.

Die Osterferien hatten nämlich begonnen, und so war die ganze Schuljugend auf die wenigen Fremden losgelassen worden. Unter einem Fremden versteht man aber hier zu Lande einen Menschen, der keinen Schritt allein thun kann, aber beide Taschen voll Kupfermünzen hat. Am besten ists, ganz ruhig zu bleiben und die Zudringlichen gar nicht zu beachten. Man bringt sich sonst leicht um die gute Stimmung, und das ist die ganze Sache doch nicht wert.

Einmal schalt ich einige Jungen wegen ihres Bettelns aus; die Ant- wort war, daß sie hernach mit Steinen nach mir warfen. Doch giebt es auch sehr liebenswürdige Jungen unter diesem Völkchen. Ein solcher war Stefano Messina, der mich am Morgen nach dem Athenefelsen begleitete. Obgleich ich ihn anfangs sehr kühl behandelte, so störte dies doch keineswegs seine unverwüstliche Heiterkeit, und als er oben, an ein altes Gemäuer gelehnt, nach den flinken Eidechsen warf, erschien mir seine schlanke Gestalt mit den regelmäßig geformten Zügen und der bräunlichen Gesichtsfarbe als ein Apollino Sauroktonos.

Urlaub in Sizilien

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Der Tourismus ist mittlerweile einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Siziliens. Die Sonnen-Insel bietet daher viele Hotels. Ferienwohnungen mit deutschsprachiger Betreuung gibt es dagegen selten. In diesen drei Urlaubsorten ist das anders:

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