Catania und der Ätna

Quellen:
Text:  Kapitel 3Reisebericht "Aus Sizilien" von , erschienen
Überschriften, Bilder und Kommentare:  Britta Bohn
Veröffentlicht am:  24. März 2012
Letzte Änderung:  13. Mai 2020

 

Von Taormina nach Catania


Die sizilianischen Mundart nennt den Ätna "Muncibeddu" (Mongibello). Das ist in seinem nächsten Bereiche aber auch die einzige Erinnerung an die Sarazenen-Zeit, im übrigen ist hier alles griechisch. Mit der Rebe des Dionysos schlingt sich die griechische Sage um seinen Fuß.

Halbwegs nach Catania, bei Aci, war es, wo einst Galatea den Liebeswerbungen des Polyphemus zuhörte. Mit heiterem Behagen bringen die Dichter, Theokrit und der anmutige Zögling der Griechen, Ovid, den täppischen Kyklopen in Gegensatz zu der zarten Nereustochter. Der plumpe Freier singt ihr ein Ständchen; er nennt sie

"Frischer als Blumenaun und schlanker geformt als die Erle,
Weicher als Schwanenflaum und quappelnde Milch in den Formen,
Doch wie Fels unbeweglich und wild wie der schäumende Sturzbach."

Nicht ein Taubenpaar bietet er ihr als Angebinde, oder ein Rehkälbchen,

"Nein, dir sand ich ein Paar, zum Spiele dir wie geschaffen,
Hoch im Gebirg, zwei Junge der rauhgezottelten Bärin,
Diese fand ich und sprach: Der Gebieterin will ich sie aufziehn
Hebe doch nur dein Haupt aus der bläulichen Flut, Galatea!"

Doch Galatea lacht seiner Liebespein; sie zieht den schönen Acis vor. Da gerät Polyphem in Wut und zerschmettert den glücklicheren Nebenbuhler mit einem Felsblocke. Seitdem ist der Kyklop zum Menschenhasser geworden, auch das Schiff des Odysseus verfolgt er mit einem Felsstück.

"Nieder schlug es indes dicht hinter dem bläulich gebugten
Schiffe, doch hätt es beinah die Spitze des Steuers getroffen;
Hoch auf rauschte das Meer vom Niedersturze des Steines."

Die Steinblöcke des Kyklopen liegen noch an ihrer Stelle im Meere, dicht vor Aci Castello. Es sind schöngeformte Basaltfelsen, "Faraglioni" genannt, die hoch aus den Fluten hervorragen und deren Oberfläche teilweise von den Wellen ausgewaschen ist.

Daß freilich Homer bei seiner anziehenden Beschreibung des Kyklopenlandes nicht an den Fuß des Ätna gedacht hat, ist jetzt allgemein zugestanden. Man darf es ebenso wenig geographisch nachweisen wollen, wie die Gärten der Armida im Tasso.

Die realistischen Römer freilich waren anderer Meinung, schon Plinius spricht hier von den drei Felsen des Kyklopen, und so ist denn auch für den modernen Reisenden die alte Sage hier lokalisiert. Man muß gestehen, daß, wenn dieses einmal geschehen sollte, nicht leicht eine passendere Gegend gefunden werden konnte.

Und noch einer anderen uralten Sage gedenkt man hier, die uns jüngst durch die pergamenischen Bildwerke wieder näher gerückt ist. Bis in die spätere Zeit war der Mythus vom Giganten- und Titanenkampfe dem griechischen Künstler ein willkommener Stoff, um den Kampf roher Naturkraft mit Sitte, Ordnung und Gesetz zur Darstellung zu bringen.

Schon Pindar singt vom Giganten Typhoeus, auf dessen Brust der Ätna gewälzt ward, in jener ersten pythischen Ode, der Perle seiner Dichtungen, die offenbar unter dem frischen Eindrucke der großartigen Landschaft und im Anblicke des noch rauchenden Ätna-Kraters niedergeschrieben ist:

"Es drückt die meerumfriedete Feste von Kyme,
Es drückt Sikelia des Untiers zottige Brust, auch hält die Säule, tragend den Himmel, ihn fest,
Ätna, der aus schneeigem Haupt
Scharfen Frost im ganzen Jahr hegt;
Aus den Schlünden speit er Bäche lauteren Feuers empor,
Das unnahbar alles verschlingt; tags ergießt sein glühender Strom des geröteten Rauches
Wogen, und in dunklen Nächten wälzt
Wildprasselnd die purpurne Glut Felssteine weit aus der See tiefgründigen Spiegel hinaus."

 

Wanderung nach Nicolosi


Unter solchen Erinnernngen war Catania erreicht. Am anderen Morgen ließ ich mich eine Strecke aus den endlosen Straßen der Stadt hinausfahren und wanderte nach Nicolosi, um wenigstens einen der Auswurfskegel des Ätna zu erklettern; an eine Besteigung des Riesen selbst war in dieser Jahreszeit nicht zu denken, dazu erstreckte sich der Schnee noch allzu weit herunter.

Alles ist hier von Lava: die Straße, auf der man wandert, die Mauern der Gärten, ja die Häuser der fleißigen Bewohner, die wie dunkle Flecken mitten in der üppigen Vegetation erscheinen. Denn die Fruchtbarkeit dieses Bodens ist erstaunlich; überall quillt das Grün der Rebe, der Olive und mannigfacher Obstbäume aus dem schwarzen Rücken der Lava hervor.

Bei der Bearbeitung des Bodens leistet die Opuntie den Bewohnern treffliche Dienste. Man braucht nur ihre Blätter mit ein wenig Erde in die Vertiefungen der Lava zu stecken, so beginnt alsbald die wackere Pflanze den Kampf mit dem oft porösen Steine; Fruchterde sammelt sich unter ihrem Stamme an, und nach verhältnismäßig kurzer Zeit kann der Weinstock gepflanzt werden.

Es darf daher auch nicht wunder nehmen, daß diese fruchtbaren Abhänge dicht bewohnt sind; gegen 300.000 Menschen leben hier in 65 Ortschaften, 550 Seelen auf dem qkm.

In langsamer, aber stetiger Steigung gings dem Feuerberge entgegen, dessen Schneefelder wegen des Staubes der Landstraße doppelt erfrischend erschienen, bis endlich Nicolosi erreicht war.

Von hier aus ersteigt man unter sicherer Führung und in größter Bequemlichkeit den Monte Rosso, einen der zahlreichen "Söhne des Ätna" Bei der ungemeinen Höhe des Ätna – er ist 3318 m hoch – gelingt es nämlich den feurigen Massen nicht immer, den Ausweg durch den Hauptschlot zu finden; sie haben hie und da die Seitenwände durchbrochen und eine zahllose Menge größerer und kleinerer Kegel gebildet, die aus vulkanischer Asche und aus Steinen zusammengehäuft sind. Zu ihnen gehört ein zweigipfliger Hügel, "der rote Berg" genannt, der in der That seinem Namen Ehre macht.

Die Aussicht einerseits nach dem Meere zu, weithin über das trefflich bebaute, grüne Land, das der Ätna so oft verwüstet hat, andrerseits auf die mächtigen, düsteren Lavaströme, die dem Beschauer mit ihrem wilden Geröll entgegenstarren, – darüber der blendend weiße Schnee, und über diesem wieder die tiefe Bläue des Himmels, in welcher die dichte Dampfsäule des Gipfelkraters schwebt – ist mit nichts zu vergleichen. Man möchte imstande sein, die erhabene Schönheit dieser Landschaft in Worte zu fassen, und fühlt doch, daß dies ein eitles Beginnen ist.

Mein Führer machte mich auf die verschiedenen Jahrgänge der Laven aufmerksam, besonders auf den gewaltigen Schlackenstrom von 1886, dessen Masse von einem italienischen Gelehrten auf 66 Millionen Kubikmeter geschätzt wird. "Damals wäre Nicolosi vernichtet worden," setzte mein Begleiter hinzu, "wenn uns nicht die bedda madre (= bella madre, die allgütige Madonna) und der heilige Antonino mit ihrer Hülfe nahe gewesen wären."

Ich fragte nach den Waldungen des Ätna, nicht sowohl wegen des Ätna Theokrits, sondern weil ich gehört hatte, daß man in der That beim Ersteigen des Berges eine "Waldregion" passiere. Aber der Alte wollte von den Wäldern des Ätna nicht viel wissen. "Ja, voriges Jahr," sagte er, "war ein deutscher Professor hier; von dem habe ich wohl gehört, es seien in alten Zeiten aus den Fichten und Tannen des Berges ganze Flotten gezimmert worden. Jetzt stehen nur noch an der Nordostseite des Berges Bäume, aber die Lava und die Menschen wetteifern, sie zu zerstören."

 

Rundgang durch Catania


Von Nicolosi kehrte ich nach Catania zurück. Hier länger zu bleiben fand ich keine Veranlassung. Während man sonst auf Sizilien keinen Schritt thun kann, ohne an das Altertum erinnert zu werden, sieht man sich in Catania vergebens nach antiken Bauten oder Kunstwerken um.

Der Ätna hat das Theater verschüttet, in dem einst Alkibiades zum Volke von Katana redete, ja die ganze Geschichte der Stadt ist ein fortgesetzter Kampf mit dem wilden Nachbar. Wenn man hört, daß nicht weniger als drei prähistorische und sechs historische Ätna-Ströme den Untergrund der Stadt und ihrer nächsten Umgebung bilden, so kann man sich eine Vorstellung von dem machen, was der Ort erlebt hat.

Aber immer aufs neue haben ihn die Catanesen aus der Verschüttung herausgegraben oder die vom Erdbeben niedergeworfenen Häuser auf dem festen Gestein neu erbaut, und das wohlhabende Aussehen der gegenwärtigen Stadt zeigt deutlich, daß sie in diesem Kampfe siegreich geblieben sind.

Die breiten, am Abend glänzend beleuchteten Straßen sind nach der Schnur angelegt und würden noch eintöniger erscheinen, wenn sie nicht durch reichgeschmückte freie Plätze unterbrochen würden. Den empfindlichen Mangel geschichtlich und künstlerisch bedeutsamer Altertümer sucht die Stadt dadurch zu ersetzen, daß sie das Andenken ihrer Söhne pietätvoll pflegt.

Zahlreiche Büsten und Denkmäler berühmter Catanesen sind aus Plätzen und in den schönen öffentlichen Gärten aufgestellt; auch den hier gestorbenen griechischen Dichter Stesichoros hat man nicht vergessen und die nach dem Ätna hinausführende Straße "via Stesicoro-Etnea" genannt.

 

Von Catania nach Syrakus


Auch auf der Fahrt von Catania nach Syrakus begleitet den Reisenden der alles beherrschende Ätna, aber die Gegend wird eine völlig andere. Keine Spur von dem steilzerklüfteten Gebirge der Nordostküste; dafür öffnet sich eine leichtgewellte, fast baumlose Ebene. Sie ist reich bewässert, der größte Strom Siziliens, der Simeto, durchströmt sie mit seinen zahlreichen Nebenflüssen, und wer sie im Winter sieht, freut sich ihres frischen Grüns und gedenkt der Zeit, da hier Ceres mit eigener Hand den ersten Weizen säte, da die Hirten Theokrits und Virgils mit den Cicaden um die Wette ihre Hirtenflöte und ihre kunstlosen Lieder ertönen ließen:

"Lieblich, o Freund, ist der Pinie Lispeln, die dort an dem Gießbach
Leise ein Liedchen sich singt; auch du hast lieblich gesungen."

Die Fruchtbarkeit des Bodens – es ist ein zäher Alluvialklei – ist dieselbe wie im Altertume, aber die Gegend ist ungesund geworden, wenigstens im Sommer, wo über dem sumpfigen Gelände die Sonne brütet.

An der tiefsten Stelle hat sich ein flacher See gebildet, der größte in ganz Sizilien, dessen schilfbewachsene Ufer öde und traurig daliegen. Bald darauf hält der Zug an dem Orte, von dem der See seinen Namen trägt: es ist Lentini, das alte Leontini, die Vaterstadt des Gorgias. Er ist der Vater der Rhetorik, jener klangvollen und wortreichen Rhetorik, die bis auf den heutigen Tag in der Presse und auf den Rednerbühnen Siziliens in voller Blüte steht.

Urlaub in Sizilien

Zu Zeiten von Ernst Ziegeler konnten sich nur wenige Menschen einen Urlaub auf Sizilien leisten. Heute kommen Sie mit dem Flugzeug in zwei Stunden vom Norden Europas zu einem der drei internationalen Flughäfen Siziliens. Dort bieten sich Mietwagen, Busse und Anschlüsse der Trenitalia zur Weiterfahrt an.

Der Tourismus ist mittlerweile einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Siziliens. Die Sonnen-Insel bietet daher viele Hotels. Ferienwohnungen mit deutschsprachiger Betreuung gibt es dagegen selten. In diesen drei Urlaubsorten ist das anders:

Hinterlasse einen Kommentar