Syrakus

Quellen:
Text:  Kapitel 4Reisebericht "Aus Sizilien" von , erschienen
Überschriften, Bilder und Kommentare:  Britta Bohn
Veröffentlicht am:  24. März 2012
Letzte Änderung:  13. Mai 2020

 

Das versunkene Syrakus


Man kennt die Geschichte von jenem Engländer, der seinen Bädeker tadelte, weil dieser den Demosthenes bei der großen athenischen Belagerung beteiligt sein läßt. "Das muß ein Irrtum sein; Demosthenes war kein Feldherr, sondern ein Redner." Für solche Reisende ist der Besuch von Syrakus eher eine Qual, denn ein Vergnügen. Die Landschaft hat nichts von jener bestrickenden Schönheit, die z. B. in Taormina auch den Unempfindlichen überwältigt; sie ist streng, ernst, der antiken Dichtung vergleichbar, die sich nur einem liebevollen Versenken ganz erschließt.

Und ebenso wird den alten Denkmälern von Syrakus nur derjenige ein lebendiges Interesse abgewinnen, der nicht achtlos an der Geschichte der Stadt von ihrer Gründung durch Archias bis auf ihre Eroberung durch Marcellus vorübergegangen ist. Ein solches Studium ist sehr erleichtert, seitdem wir die trefflichen Werke von Holm (Geschichte Siziliens im Altertum, 1874), Cavallari (Die Stadt Syrakus im Altertum, 1887) und Freeman (The history of sicily, 1891) besitzen.

Im vorigen Jahrhundert war das anders; da gab es weder eine wissenschaftliche Geschichte Siziliens noch eine lesbare Topographie non Syrakus, und wir finden es daher begreiflich, wenn Goethe der Lockung folgte, Syrakus aufzugeben, "indem uns nicht unbekannt war, daß von dieser herrlichen Stadt wenig mehr als der mächtige Name geblieben sei."

Das ist freilich nicht zu leugnen; aber wer die Fahrt über den großen Hafen gemacht hat, wo der Entscheidungskampf zwischen dem östlichen und dem westlichen Hellas ausgefochten wurde, wer über die Terrasse von Epipolä gewandert ist und die Erzählung des Thukydides an der Stelle gelesen hat, wo jeder Schritt uns mehr überzeugt, daß sie ebenso wahr wie erschütternd ist, der wird zugeben, daß Goethe an etwas überaus Wichtigem und Interessantem vorbeigegangen ist. Denn nicht die etwa noch aufrecht stehenden Säulen weihen einen solchen Ort, sondern die Erinnerungen, welche an ihm haften, und die Schatten, welche ihn umschweben.

 

Das moderne Syrakus


Spät am Abend langte ich auf dem dürftigen Bahnhofe von Syrakus an. Draußen brannte das elektrische Licht – es wird von dem starken Gefälle der antiken Wasserleitung gespeist -, aber trotzdem erkannte ich nur, daß der Wagen dicht am Meeresufer vorbei über verschiedene Brücken fuhr, bis wir in den unsäglich engen Straßen der Stadt angekommen waren.

Mit einiger Mühe fand ich mich am folgenden Morgen aus diesem Gewirr von Gassen und Gäßchen wieder hinaus, um die Hochterrasse zu ersteigen und von hier einen Überblick zu gewinnen. Die dreieckige Gestalt der Insel wiederholt sich auf dieser Terrasse, und zwar fällt die kürzere Seite des Dreiecks im Osten schroff gegen das Meer ab, während die beiden längeren Seiten etwa anderthalb Meilen landeinwärts im Westen zusammenfließen.

Der erste Blick fällt auf die Stadt mit ihren beiden Häfen, und man erstaunt, wie sehr sie zusammengeschrumpft ist. Syrakus, eine Zeit lang die größte und schönste Stadt der Alten Welt, hat sich bescheiden dahin zurückgezogen, wo seine Wiege war: nach der Insel Ortygia. Hier liegen die hohen Häuser des modernen Sirakusa eng zusammengedrängt.

Die alte Stadt begnügte sich damit nicht. Sie ging nach dem Festlande hinüber und erstieg Schritt für Schritt die der Insel vorgelagerte Felsenterrasse, wo sich vier gesonderte Stadtteile erhoben; auch die Ebene zwischen Insel und Terrasse wurde mit Ansiedlungen ausgefüllt, und endlich wurde das Ganze von Dionys durch eine mächtige Mauer zusammengefaßt.

So entstand ein Festungsgürtel, der fast dem von Paris gleichkam. Ich stieg noch höher hinauf und hatte nunmehr den vollen Anblick des ionischen Meeres, das von Osten her in die Hafen und Buchten des sikulischen Landes hineinflutet. Zur Rechten dehnt sich die mit uralten grauen Olivenbäumen übersäte Niederung aus, die der Anapus durchströmt und in der das Auge weithin den Weg verfolgt, den die Athener einschlagen, um ihren Todfeinden zu entrinnen; zur Linken erhebt sich die Bergkette des Crimiti und entsendet Ausläufer nach dem Meere zu, über denen der Ätna, schneebedeckt, breit gelagert, emporsteigt.

 

Auf den Spuren des alten Syrakus


Nun wanderte ich stundenlang über das kahle, felsige Hochplateau, die Spuren der alten Stadt verfolgend und immer wieder die großartige Aussicht genießend. Aus einem der Gehöfte unten hatte sich ein großer Syrakusanerhund zu mir gesellt, der gegen einen Bissen Brot den ganzen Tag bei mir blieb und mir auf der einsamen Wanderung ein willkommener Begleiter war.

Daß hier einst Menschen gewohnt haben, zeigen nicht nur die Gleise, welche die Wagenräder in das Gestein geschnitten haben, sondern vor allem die wohlerhaltenen Wasserleitungen. Ich verfolgte die eine ziemlich weit. Der Kanal ist etwa 1/2 m breit und läuft unter freiem Himmel; er ist in das natür- liche Gestein gehauen; wo es bröcklich erschien, hat man nicht nur die Seiten, sondern auch den Boden ausgemauert.

Die ungeheuere Stadt, der so das Wasser zugeführt wurde, sucht man vergebens. Wohl kann man hie und da die Stelle nachweisen, wo ein Haus gestanden haben muß, aber von Resten keine Spur. Etiam periere ruinae. Wie kommt das? Marcellus hat ja freilich die Stadt geplündert und ihrer Kunstschätze beraubt, – auch die Sarazenen haben sie im Jahre 878 gründlich verwüstet; aber das spurlose Verschwinden selbst der Ruinen erklärt sich doch nur aus der Beschaffenheit des Materials, aus dem ihre Bauten errichtet waren.

Es ist ein Gestein, das leicht verwittert. Jahrhundertelang benagte der feuchte Süd die Bauten der Menschen, und als sie zu Boden stürzten, wurden sie zu Staub zerrieben und dieser von der Gewalt des Windes in die nahe See geworfen. So kommt es, daß wir in Syrakus keinen Tempel aufrecht stehen sehen wie in Segesta und Agrigent, ja kaum eine Säule; nur ans der Anapus-Niederung schimmern zwei Tuffsäulen herüber, und beim Ansgange aus der Stadt steht rechts in der Wiese eine verstümmelte Säule. Sonst ist nur das geblieben, was in den foliden Felsen gegraben war: die Gräber, das Theater und die Steinbrüche selbst.

 

Das Kastell Euryalos


Doch nein, noch zwei gewaltige, von Menschenhand errichtete Bauwerke sind geblieben, Zunächst das Kastell Euryalos. Wenn man die steinige Einöde, welche einst Epipolä hieß, im Westen bis an ihr Ende verfolgt, so kommt man endlich an einen von fünf starken Türmen eingefaßten Bau, der auf den ersten Blick nicht eben bedeutend aussieht.

Tritt man aber näher, so entdeckt man bald, daß hier eine mächtige, ganz aus Quaderblöcken ausgeführte und wohlerhaltene antike Befestigung liegt, die fast uneinnehmbar war. Man sieht den tiefen Graben, der in das feste Gestein eingeschnitten ist, und in seiner Mitte die drei solid gemauerten Pfeiler, auf denen die Zugbrücke ruhte.

Unter der Führung eines wohlunterrichteten Kustoden wandelt man dann durch eine verschlungene Folge von unterirdischen Galerien, durch Höfe für Pferde und Mannschaften, vorbei an Ausfallpforten und Thoren. Es gilt jetzt als sicher, daß die Grundlage dieser Festung von Dionys herrührt; doch haben spätere Zeiten manches daran umgebaut und geändert.

Die Aussicht von der Höhe ist vortrefflich, noch schöner ist sie vom Telegrafo, wo sich eine neu angelegte meteorologische Station befindet. Von keiner Stelle läßt sich die ungeheure Fläche der alten Stadt besser überblicken; darüber hinaus schimmert ein feiner weißer Streifen zwischen zwei blauen: es ist das heutige Syrakus zwischen dem großen Hafen und der offenen See, die weit ausgebreitet vor uns liegt.

 

Die alte Ringmauer


An der Küste entlang verfolgt das Auge den Weg nach den blutbefleckten Ufern des Assinaros, wo sich Nikias dem Gylippos ergab und schon vor ihm Demosthenes im Olivenfelde des Polyzelos. Vom Telegrafo übersieht man anch am besten die alte Ringmauer, durch welche Dionys das ganze Plateau in eine einzige Riesenfestung verwandelte.

Der gesamte Umfang dieser Mauer betrug nahezu drei deutsche Meilen; 60.000 Menschen waren aus der Bauernschaft der syrakusanischen Feldmark auserlesen, um das Werk möglichst schnell herzustellen. Doch ist nicht anzunehmen, daß die ganze so eingeschlossene Fläche von städtischen Anlagen bedeckt war, es befanden sich hier auch zahlreiche Gärten und Felder; trotzdem darf als sicher gelten, daß die Zahl der Bewohner die Million überstiegen hat – das heutige Syrakus auf seiner Insel zählt etwa 30.000 Einwohner -.

Ich verfolgte den Lauf der Mauer an der Nordseite, wo sie am besten erhalten ist; an einigen Stellen mußte ich mit meinem vierbeinigen Begleiter über wüstes Getrümmer klettern, anderswo boten uralte Ölbäume erwünschten Schatten, denn schon im März brennt die Sonne manchmal heiß auf den dürren Felsboden.

Man blickt gen Norden hinüber nach der seltsam geformten Halbinsel Magnisi, die einst Thapsos hieß, und nach der Bucht Leon, von wo die Athener im Laufschritt auf Epipolä zu rückten und den Euryalos erstiegen, bevor die Syrakusaner etwas von ihrem Vorhaben merkten.

Und zum zweiten Male erstieg der unerschrockene Demosthenes an dieser Stelle die Felsenterrasse, aber der Handstreich mißlang trotz des anfänglichen Erfolges. Thukydides erzählt uns das alles in lebendiger Darstellung.

Es war eine mondhelle Nacht, als das athenische Heer sich lautlos den Höhen näherte, von Zimmerleuten und Steinhauern begleitet, um oben sofort Befestigungen anzulegen. Die Syrakusaner hielten schlecht Wacht; so konnte es geschehen, daß die Athener hinaufkletterten nnd die feindliche Gegenmauer nach einigem Widerstande eroberten.

Sie rissen die Brustwehren nieder nnd rückten weiter auf dem Plateau vor. In der Meinung aber, den Sieg schon in Händen zu haben, lockerten sie ihre Reihen nnd setzten die Verfolgung mit geringer Ordnung fort. Die Feinde sammelten sich wieder und brachten an einer Stelle die Sieger zum Weichen.

Nun trat eine entsetzliche Verwirrung ein. Bald waren Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden; die nachrückenden Athener hieben auf ihre flüchtend zurückkehrenden Landsleute ein, und bald stürzte sich das ganze athenische Heer in wilder Flucht die Höhen hinab.

Unzählige müssen hierbei niedergemacht oder schwer verwundet worden sein, denn der Absturz beträgt an dieser Stelle im Durchschnitt gegen 90 Fuß; die aber, welche sich retteten, irrten während der Nacht führerlos in der unbekannten Gegend umher und wurden, als es Tag geworden war, von den syrakusanischen Reitern niedergehauen. Seit dieser Unglücksnacht war den Athenern der Wagemut geschwunden; ihre Flotte verharrte von nun an in einer Verteidigungsstellung, die mit völliger Vernichtung enden sollte.

Ich verfolgte die Mauer des Dionys bis zu der Stelle, wo die weiße Landstraße von Catania in langsamen Windungen die Höhe ersteigt. An dieser Stelle lag in alten Zeiten das Hexapylon, welches wir uns wohl als einen aus sechs Thoren bestehenden Bau zu denken haben, "so daß der Feind, nachdem er das erste genommen hatte, sich gezwungen sah, noch fünf andere zu erstürmen und dabei jedesmal nach der Einnahme eines derselben von neuem den Angriffen der Verteidiger ausgesetzt war, die von der Höhe der Mauern her die in engen Hofräumen zusammengedrängten Angreifer umzingelten."

Und doch eroberte Marcellus von hier aus die Stadt! Erst spät am Nachmittage kehrte ich über das kahle, felsige Hochplateau nach Syrakus zurück. Nie glaube ich eine schönere Beleuchtung in dem Sonnen- und Lichtlande Italien gesehen zu haben als diesen Abend. Tiefgrün breitete sich die regungslose Fläche des Hafens aus; die ganze Landschaft aber trug einen gelb-rötlichen Ton, nur der Ätna schimmerte weiß.

 

Die Seeschlacht zwischen Syrakus und Athen


Ich nahm ein Boot und fuhr in den Hafen hinaus. Er bietet den Schiffen den besten Ankergrund, den bequemsten Zugang und überall treffliches Quell- und Flußwasser. Trotzdem ist es sehr still in dem großen Hafen von Syrakus. Nur wenige Fahrzeuge liegen am Ufer, von lärmendem Treiben keine Spur, und selbst die Bootsleute, die sich doch sonst in Italien im Schreien zu überbieten suchen, nehmen hier den Fahrgast schweigend in Empfang.

Aber einst war ein Tag, wo diese spiegelglatte Wasserfläche von unzähligen Rudern aufgewühlt wurde und von allen Seiten wildes Kampfgeschrei erscholl. Denn hier entschied sich das Schicksal Athens, hier wurde es für alle Zeiten besiegt. Mit Ketten und Fahrzeugen hatten die Syrakusaner die Einfahrt versperrt – sie ist nur 1.210 m breit – und fuhren nun heran, um Athens letzte Flotte zu vernichten.

Am Ufer standen, Kopf an Kopf gedrängt, die Kranken und Verwundeten der Athener, gegenüber auf den Stadtmauern Greise und Weiber der Syrakusaner; sie bildeten den Chor des Schauspieles und begleiteten mit ihren Zurufen den Kampf, der sich nunmehr entspann. Die malerischte Schlacht in der Geschichte hat Grote ihn genannt, ohne Rauch und ohne andere Hindernisse für den Blick, und in der hellen Atmosphäre Siziliens.

Aber das Interesse an dem Furchtbaren läßt keine solche Betrachtung aufkommen. Auf dem engen Raume fochten gegen 200 Schiffe, doch war es kein geordneter Kampf, überall herrschte eine betäubende Verwirrung, jeglicher Überblick, jegliche Leitung fehlte. Lange wehrten sich die Athener, bis sie endlich unter den leidenschaftlichen Zurufen der am Ufer Stehenden zum Weichen genötigt und auf den Strand gejagt wurden.

Nun eilte man von allen Seiten herbei, um von den Schiffen zu retten, was den Feinden noch nicht in die Hände gefallen war. Das gelang den verzweifelten Anstrengungen, aber zehn Tage später waren die Reste des tapfern Heeres kriegsgefangen in den Händen der Verfolger. Die Feldherren wurden hingerichtet, aber auch von den Mannschaften sahen wenige ihre Vaterstadt wieder: sie starben in den Steinbrüchen von Syrakus.

 

Die Steinbrüche von Syrakus


Die Steinbrüche besuchte ich am folgenden Tage. Man fährt über den kleinen Hafen und steigt dann zwischen weißen Gartenmauern an uralten Kirchen vorbei langsam die Höhe hinan. So kommt man endlich auf die kahle Felsenplatte, die einst Achradina hieß.

Hier hat man nun einen überraschenden Anblick. Man schaut etwa hundert Fuß in einen weiten, vielverschlungenen Felsenkessel hinab, der ganz mit Grün angefüllt ist. Hart am Rande steht ein vom italienischen Staate in Besitz genommenes Kloster, von ihm heißt dieser Steinbruch die "latomia dei cappucini". Von ihrer Größe kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man hört, daß sie gegen 850.000 cbm Steine zum Bau des alten Syrakus geliefert hat.

Es ist ein graugelber Fels, senkrecht fallen seine Wände ab, an manchen Stellen so glatt, als wäre der Meißel eben darübergegangen. Ich stieg hinunter und schellte am Eingange. Ein kleines, blondes Mädchen erschien und antwortete auf meine Frage deutsch. Die Latomie wird jedesmal für vier Jahre von der Regierung verpachtet, und der Pächter ist augenblicklich ein Deutscher.

Er führte mich bereitwillig durch die ausgedehnten Fruchtgärten, die die Väter Kapuziner einstmals mit großer Sorgfalt hier angelegt haben. Denn das Erdreich ist sehr fruchtbar, weil durch die Jahrhunderte Massen von Fruchterde angehäuft sind. So ist denn die Pflanzenfülle eine überaus große: Lorbeer, Orangen und Cypressen streben wetteifernd zum Lichte empor, und aus den Felsspalten suchen sich knorrige Oliven und vielgewundene Feigenbäume ihren Weg.

Schlingpflanzen aller Art ranken von oben und schweben herab, am Boden aber sprießen unzählige Veilchen. Es ist ganz still in dieser grünen Tiefe, da kein Wind hereindringt. Zerstreut sieht man grünumrankte Felsblöcke umherliegen, die von der Höhe herabgestürzt sind; anderswo erheben sich inmitten der offenen Raume Pfeiler und halb- verwitterte Keile, welche die alten Steinmetzen haben stehen lassen; einzeln sind auch die Wände zu Hallen mit flachen Decken ausgehöhlt.

Mein Führer machte darauf aufmerksam, daß diese Steinbrüche offenbar nicht nach einem bestimmten Plane angelegt seien, sondern daß man je nach der Güte des Materials hierhin und dorthin gegangen sei. So ist ein Gewirr von Gängen entstanden, von denen kein Bild und keine Photographie eine Anschauung geben kann

Wenn auch das Gestein vom Südwinde Vielfach angefressen ist, im wesentlichen ist das Felsenlabyrinth so geblieben, wie die Griechen es vor mehr als 2.000 Jahren sahen. Aber damals waren keine blühenden Gärten in ihm angelegt, sondern senkrecht brannte die Sonne auf die athenischen Gefangenen herab, die man hier wie wilde Tiere eingesperrt hatte und einem langsamen Verderben preisgab, denn man hatte ihnen versprochen, sie sollten keines gewaltsamen Todes sterben.

Die Schilderung des Thukydides ist auch hier durch ihre schlichte Sachlichkeit überaus wirkungsvoll. "Mit den in die Steingruben geworfenen Athenern", berichtet er, "gingen die Syrakusaner die erste Zeit sehr hart um. Es war ihrer eine große Menge in dieser Tiefe beisammen, und die erstickende Sonnenhitze fiel ihnen sehr beschwerlich, weil der Raum oben ohne Bedeckung war; in den Herbstnächten aber trat gerade das Gegenteil ein, indem sie empfindliche Kälte auszustehen hatten. Dieser Wechsel, ver- bunden mit der Unbequemlichkeit des engen Ortes und dem unerträglichen Geruche verwesender Körper – denn es waren viele an ihren Wunden oder an den Wirkungen jenes Wechsels gestorben -, verursachte allerlei Krankheiten. Dazu wurden sie von Hunger und Durst gequält, indem man ihnen acht Monate hindurch nur so viel Wasser und Brot gab, als eben hinreichte, das Leben zu fristen. In diesem Zustande brachten sie reichlich zwei Monate alle bei einander zu; hernach behielt man nur die geborenen Athener, die Sikelioten und Italioten zurück, während man die übrigen verkaufte."

Man darf wohl annehmen, daß auch die anderen Latomien – es giebt deren im ganzen sechs – teilweise zur Verwahrung der unglücklichen Gefangenen gedient haben. Außer der latomia Casale verdient besonders erwähnt zu werden die große latomia del paradiso, welche fast ebenso viel Steinmaterial geliefert hat, wie die der Kapuziner.

Auch hier bilden die herabgestürzten Trümmer, vielfach mit Moos und Grün überwachsen, schöne Grotten; besonders berühmt ist sie aber durch das "Ohr des Dionys". Es ist das eine 60 m hohe Spalte, die in Form eines umgekehrten S das Gestein von oben bis unten durchzieht.

Wenn man vor derselben ein Blatt Papier zerreißt oder ein Wort spricht, so pflanzt sich der Schall in einer Weise fort, als ob man ein Gewehr abgeschossen hätte. Man weiß jetzt, daß die Behauptung, Dionys habe diese Öffnung herrichten lassen, um in einem kleinen Gemache oben die Gespräche seiner Gefangenen zu belauschen, nichts ist als ein Scherz des Malers Caravaggio; dagegen läßt sich nicht mit gleicher Sicherheit sagen, ob die ganze Anlage wirklich nur auf die Arbeiter zurückzuführen ist, die dem wertvolleren Gesteine nachgingen, oder ob andere Beweggründe dabei bestimmend gewesen sind.

Auch in dieser Latomie hat man Gärten angelegt, und andere Reisende wissen ihren Reichtum nicht genug zu preisen. Heuer aber sahen die schönen Citronenbäume übel zugerichtet aus; denn wenn auch der Winter in Syrakus gewöhnlich von keiner Bedeutung ist und der Schnee vielleicht alle zehn Jahre einmal auf einige Stunden liegen bleibt, so sind doch verheerende Hagelschläge nicht selten.

Sie treten so heftig auf, daß sie die Stengel der Pflanzen und die Zweige der Bäume nicht zerknicken, sondern zerschneiden. Auch in diesem Jahre hatten die Besitzer große Verluste dadurch erlitten. In der latomia del paradiso hatten die Bäume fast gar keine Früchte, und die Blätter sahen wie versengt aus.

 

Die Quell-Nymphe Kyane


Von diesen Schauplätzen trüber Erinnerung, wo eine ganze Nation verblutete, flüchtet man gern zu den harmloseren Schauplätzen der griechischen Sage, zur Kyane und zur Arethusa. Kyane hieß jene Nymphe, die sich dem Pluto widersetzte, als dieser mit der geraubten Proserpina in die Unterwelt hinabfahren wollte, und die der erzürnte Gott bei Seite stieß. Aus Schmerz über das Geschehene zerfloß sie zu der Quelle, die bis auf den heutigen Tag ihren Namen trägt.

"Kyane trauert zugleich um Proserpina und die Verachtung
Ihres geheiligten Quells; die unausheilbare Wunde
Nährt sie in schweigender Brust, und ganz in Thränen verrinnt sie."

Die Fahrt nach der Quelle der Kyane gehört zu den beliebtesten Touren von Syrakus aus, doch muß man sie im Hochsommer machen und nicht, wie ich, früh im Jahre. Man nimmt am Hafen ein Boot und fährt quer über seine weite Fläche nach der Stelle, wo sich der Anapus in das Hafenbecken ergießt.

Rechts von seiner Mündung bemerkt man jene Sümpfe, die schon im Altertume mehr als einem feindlichen Heere Tod und Verderben gebracht haben und die bis auf den heutigen Tag trotz ihres verkleinerten Umfanges im Sommer nicht ungefährlich sind. Sie werden vornehmlich durch das Wasser gespeist, das von der syrakusanischen Terrasse herabkommt und das wegen der vorgelagerten Dünen nicht ins Meer gelangen kann.

Nachdem das Boot die Sandbank vor dem Flusse glücklich passiert hatte, begann die Fahrt auf dem Anapus, und bald erreichten wir die Brücke, über welche schon im Altertume die helorische Straße gen Süden führte. Hier bot sich den Augen ein Bild der Zerstörung: die Gewalt des Winter-Wassers hatte die Brücke zur Hälfte mit fortgerissen.

"Da reißet die Brücke der Strudel hinab,
Und donnernd sprengen die Wogen
Des Gewölbes krachenden Bogen."

Die wilde Wut der nach Regengüssen mächtig anschwellenden Bäche Siziliens hat Schiller in diesen Worten ebenso treffend gemalt, wie die Schweizerlandschaft im Eingange des Tell. Scharen von Arbeitern waren beschäftigt, das schmale Bett des Anapus zu verbreitern.

Wir mußten daher eine Strecke auf dem schlüpfrigen Uferrande gehen, um hernach in ein anderes Boot zu steigen. So kamen wir zu der Stelle, wo die Kyane in den Anapus fließt. Hier begann der schwierige Teil der Fahrt. Einer meiner Ruderer blieb im Boote, die beiden anderen spannten sich vor ein Seil und zogen das Schifflein den Bach hinauf, der uns mit munterem Geplätscher entgegenkam.

Die Aussicht verschwand nun ganz, weil zu beiden Seiten deichähnliche Erhöhungen die Kyane einschlossen. Bald kamen wir an eine Stelle, wo sie sich in kanalähnlicher Weise verbreiterte, und ich erfuhr auf Befragen von den Schiffern, daß man der unartigen Nymphe wegen ihrer Excesse im vorigen Jahre dieses neue höchst korrekte, aber höchst langweilige Bett angewiesen habe. Doch scheint das Ganze nur eine Drohung gewesen zu sein, denn eine Strecke weiter hörten die Arbeiten auf, und hier erblickte ich denn auch zuerst jene Papyrusstauden, die etwa seit dem 17. Jahrhundert an dieser Stelle angesiedelt sind.

Die Schiffer begannen jetzt wieder zu rudern, aber das Boot rückte nur langsam vorwärts, da im Bache viele Wasserpflanzen wachsen. Zu beiden Seiten wird er von einem breiten Sumpfgelände eingefaßt, in dem man Versinken würde, wenn man am Ufer bis zur Quelle vordringen wollte. Nur Herden von mageren roten Ochsen waten in ihm, trampeln die Wasserpflanzen nieder und stieren den Fremden an, der hülflos in seinem Kahne sitzt und sich durch manche ermüdende Windung bugsieren läßt.

Der Bach wird endlich so schmal, daß das Boot nur eben Raum in ihm hat. Endlich haben wir die Quelle der Kyane erreicht. Ein überraschender Anblick! Der Bach erweitert sich hier zu einem kreis- runden Teiche, dessen Wasser sehr tief und so klar ist, daß man die Kiesel auf dem Grunde zählen kann.

Ringsum ein Kranz von Papyrus und Rohr. Der Papyrus hätte mit seinen gegen fünfzehn Fuß hohen Stauden und den anmutig geneigten Büscheln einen ganz hübschen Anblick gewährt, wenn nicht auch hier der Hagel arg gehaust hätte. Die umgeknickten Stengel und die trübselig gelbe Farbe seiner – Blütenköpfe erinnerten doch gar zu lebhaft daran, daß die Pflanze sich nicht im Lande der Pharaonen befand, ihrer eigentlichen Heimat.

Trotzdem verdient der Vorschlag eines französischen Schriftstellers allen Beifall, daß, wenn der Papyrus, der dem menschlichen Geiste so große Dienste erwiesen hat, jemals in Gefahr kommen sollte zu verschwinden, die gebildeten Nationen ihm auf gemeinsame Kosten eine Altersversorgung im Anapus-Thale stiften sollten.

Als wir zurückfuhren, wiesen meine Schiffer nach einem niedrigen Hügel am rechten Ufer des Baches, auf dem zwei Säulenstümpfe standen. Weiter ist von dem vielgenannten Zeustempel nichts geblieben, dem Olympieion, welches sich einst auf dieser Höhe erhob und um welches sich das Städtchen Polichna angesiedelt hatte.

Der Tempel ist durch einen unfrommen Scherz des Dionys bekannt geworden. Er raubte der Statue ihr goldenes Gewand, mit den Worten, im Sommer sei der Mantel zu schwer und im Winter ein schlechter Schutz gegen die Kälte.

Das geschah zu einer Zeit, wo der alte Glaube in den Gemütern der Menschen so wankend geworden war, daß selbst Könige ihn nicht mehr stützen mochten. Ich sah am folgenden Tage im Museum zu Syrakus Terrakottafragmente, die zur Zierde des Dachgesimses an diesem Tempel gedient hatten und die an Färbung und Zeichnung ganz den in Palermo befindlichen selinuntischen Fragmenten glichen.

 

Die Quell-Nymphe Arethusa


Leichter als die Kyane ist die zweite Quell-Nymphe von Syrakus zu erreichen, die Arethusa. Am Hafen entlang gehend fand ich sie ohne Mühe und ward durch das anmutige Bild lange gefesselt. Man blickt über ein steinernes Geländer und sieht in der Tiefe ein großes gemauertes Bassin, in das aus vier Offnungen klares Wasser fprudelt.

Unzählige Fische beleben es, und ringsum stehen Papyrusstauden, die in der geschützten Tiefe trefflich gedeihn. Das Wasser fließt dann unter dem Damme hindurch, der die Anlage vom Meere scheidet, und vermischt sich mit dem Wasser des Hafens.

Das ist Arethusa. Sie war nach der Sage eine Nymphe, die, vom Flußgotte Alpheios verfolgt, nach Sizilien entfloh, wo sie als Quelle zum Vorschein kam; aber der liebende Gott folgte ihr auch dorthin und vereinigte sich mit ihr. So strömt denn das Wasser beider Quellen vereint zu Tage, und wer einen Gegenstand in den Alpheios wirft – er fließt an Olympia vorüber -, findet ihn in der Arethusa wieder.

Eine ansprechende Erklärung der von den antiken Dichtern immer wieder erwähnten Sage findet man bei Cavallari-Holm. "Die erstaunliche Wasserfülle der Arethusa ließ die Vermutung aufkommen, sie sei vielleicht die Mündung eines fremden Flusses, und da nahe bei der Quelle die Artemis Alphiaia ("die Nährende") verehrt wurde, so dachte man wegen des gleichklingenden Namens an den Alpheios, der in seinem oberen Laufe unter die Erde verschwindet und mit seiner Mündung gerade auf Sizilien gerichtet ist. So entstand die Sage von dem Erscheinen des Alpheios auf Sicilien, um die Artemis Alphiaia einzuholen. Später betrachtete man die Quellnymphe selbst als Gegenstand der Verfolgung des Alpheios und setzte in der Volkstradition diese neue Wendung an Stelle der älteren Sage von Artemis."

Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, daß eine Zeitlang die Meinung geherrscht hat, die Arethusa sei nichts anderes, als die Mündung einer der zahlreichen Wasserleitungen von Syrakus; doch hat Cavallari jetzt nachgewiesen, daß sie durchaus natürlich und kein Werk von Menschenhand ist.

Wie die Auffassungen über die Arethusa geschwankt haben, so ist auch ihr Schicksal ein wechselvolles gewesen. Im Altertum soll ihr Wasser stets süß gewesen sein; im Jahre 1170 aber drang infolge eines Erdbebens Meerwasser in sie ein.

"In der Neuzeit versiegten am 9. Aug. 1870 plötzlich die Zuflüsse der Arethusa. An dem Gestade des großen Hafens, wo in derselben Zeit mit der Arethusa die bestehenden Quellen zu fließen aufhörten, brach plötzlich ein Dutzend neuer Quellsprudel hervor. 26 Tage währte diese Wasserrevolution im Schoße Ortygias. Am 4. Sept. aber begann die Arethusa wieder zu strömen, und ebenso kehrte in den übrigen Quellen und Brunnen der alte Zustand zurück."

Auch sonst hat Arethusa mancherlei Unbill erleiden müssen. Frühere Besucher haben sich mit Recht darüber beschwert, daß der Born, in dem einst die Nymphen Dianas badeten, den Wäscherinnen von Syrakus als Stätte ihrer Thätigkeit diene, und daß man nicht zu dem heiligen Wasser hinabsteigen könne, ohne von Scharen zerlumpter, Tamburin schlagender Bettelkinder belästigt zu werden. Das ist jetzt alles anders geworden. Die Wäscherinnen sind vertrieben, und die Arethusa hat eine ihres alten Ruhmes würdige Umgebung bekommen.

 

Die Kathedrale von Syrakus


Von hier führen wenige Schritte zur Kathedrale. Es ist ein wenig erfreulicher Bau, so schnörkelhaft, wie ihn nur die ausgehende Renaissance erdenken konnte. S. Maria della colonne heißt die Kirche, und das mit Recht, denn sie ist in einen großen griechischen Tempel hineingebaut worden, dessen Peristyle zu Seitenschiffen gemacht wurden.

Aus der Umfassungsmauer blicken wie aus trauriger Gefangenschaft zahlreiche dorische Säulen hervor und tragen die kräftig entwickelten Kapitelle nebst dem Architrav, während das antike Gesims durch Zinnen ersetzt ist. Die Verbindung so verschiedener Elemente wirkt höchst befremdlich. Der Tempel war in alten Zeiten der Athene geweiht, und Cicero beschreibt ihn als einen glänzenden Bau. Verres beraubte ihn seiner kostbaren Gemälde und der Zieraten an den Thürflügeln des Haupteinganges.

Wenn man außer der Kathedrale noch die maurisch-normannische Fensterarchitektur des Palazzo Montalto gesehen hat, die nach den Schnörkeln der Kathedrale wahrhaft erfrischend wirkt, so ist man mit den baulichen Sehenswürdigkeiten von Syrakus zu Ende.

Dagegen bewahrt das Museum in seiner Aphrodite einen unvergleichlichen Schatz. Es fehlen freilich Kopf und rechter Arm – er wurde durch die Stützen gehalten, deren Ansätze man noch auf der Brust sieht -, sonst ist die Statue aber trefflich erhalten. Man hat ihr ein besonderes Zimmer, als eine Art von Kapelle, angewiesen, auf dessen rotem Hintergrunde sich der schneeweiße Marmor wirkungsvoll abhebt. Die Statue wurde erst 1804 vom Ritter Landolina in einein Garten gefunden.

Aus der Fülle unbedeutender Sachen, die das Museum im übrigen bietet, wird man gern hinaus ins Freie eilen, um die köstlichen Ausblicke auf Land und Meer nicht zu versäumen. Ich machte mich auf und umwanderte die ganze Insel Ortygia. In dem kleineren Hafen, wo einst die Kriegsschiffe des Dionys ankerten und wo man noch Spuren der "Schiffshäuser" sieht, ists jetzt noch stiller als im großen.

Langsam am rauschenden dunkelblauen Meere entlang gehend kam ich zuletzt nach der südlichen Spitze der Insel. Ein halb zerfallenes Kastell nimmt sie ein. Der wachthabende Offizier gestattete gern den Eintritt. Von der höchsten Bastion hat man einen trefflichen Blick nach der gegenüberliegenden Halbinsel Maddalena, dem alten Plemmyrion.

Ich überblickte den Hafeneingang, den einst die Syrakusaner versperrten und an dem alle Geschicklichkeit der athenischen Schiffe scheiterte. Plemmyrion mag bis auf den heutigen Tag etwa denselben Anblick gewähren, wie damals, als die Athener auf ihm ihre Kastelle erbauten. Gegen sechzig Fuß aus den Wogen des ionischen Meeres emporsteigend trägt es fruchtbare Äcker und reiche Weingelände.

Auf seiner Höhe ruht der erste Seeheld seines Jahrhunderts, de Ruyter, der am 29. April l676 zu Syrakus seinen Wunden erlag. Nicht leicht hätte man eine passendere Ruhestätte für ihn finden können, als dieses erinnerungsreiche Vorgebirge.

 

Das griechische Theater von Syrakus


Spät am Nachmittage ging ich nach dem griechischen Theater hinaus. Es ist ebenso berühmt durch seine Lage, wie durch seine geschichtliche Bedeutung. Der Blick ist nicht so ausgedehnt, wie von der Terrasse, denn das Theater nistet an der Abdachung der Höhe, aber man übersieht in herrlicher Klarheit das denkwürdige Gefilde, den großen Hafen und das ionische Meer.

Ein Pindar, ein Plato saßen hier als Gäste der Herrscher von Syrakus. Auf dieser Bühne wurden die "Perser" des Äschylus aufgeführt, und von seinem Ehrensitze hörte der Fürst, der bei Himera gefochten hatte, den Versen zu, in denen der Dichter, der Kämpfer von Salamis, die Erzählung seiner eigenen Thaten Vortrag.

Noch liest man die Namen Nereis und Philistis an der Umfassungsmauer; es sind die Namen von Fürstinnen, denen zu Ehren man die Abteilungen des Theaters benannte. Aber auch das politische Leben der großen Stadt hat in dem Halbkreise dieses Theaters pulsiert, vornehmlich in den Zeiten, wo man die Monarchie mit einer oft zügellosen Demokratie vertauscht hatte.

Jeder Platz, auf den in den lebendigen Fels gehauenen Stufen war dann von der leicht erregten Menge besetzt; die Redner standen auf der kaum noch erkennbaren Bühne, von wo jedes gesprochene Wort so vernehmlich herauftönt.

Hermokrates sprach hier, der größte Staatsmann seiner Vaterstadt, und nach ihm Timoleon, der Washington des Altertums. Wie sympathisch ist uns seine Gestalt doch! "Im vorgerückten Alter," erzählt ein alter Schriftsteller, "erblindete Timoleon. Er ertrug dieses Unglück mit Fassung, ohne je zu klagen, und ohne seine politische Thätigkeit einzustellen. Er kam ins Theater, wenn dort eine Volksversammlung stattfand, und zwar wegen seines leidenden Zustandes im Wagen; von da aus äußerte er seine Ansicht. Das nahm ihm in der demokratischcn Masse niemand übel, denn nie kam ein Wort der Überhebung oder der Selbstgefälligkeit aus seinem Munde. Wenn man seine Thaten pries, pflegte er zu sagen: er danke der Gottheit innigst, daß sie gerade ihn zum Werkzeuge ausersehen habe, als sie beschlossen habe, SiZilien zu erretten. Er glaubte nämlich, daß nichts ohne das göttliche Walten gsschehe."

Während das griechische Theater sich durch seine freie und schöne Lage auszeichnet, hat das daneben liegende, ganz wohl erhaltene römische Amphitheater gar keine Aussicht, sondern liegt in einer Vertiefung, von festen Mauern eingeschlossen. Das ist sehr bezeichnend für den Geist der beiden Völker.

Der lebhafter und menschlicher empfindende Grieche erbaute seine Theater gern da, wo Land und Meer wetteifernd dem Schauspiele den schönsten Hintergrund liehen; der rohere Römer wollte sich in dem Anblicke von Mordscenen berauschen und durch nichts gestört werden. Man kann dasselbe in Pompeji beobachten, wo man von der Terrasse, auf welcher der altgriechische Tempel steht, eine köstliche Aussicht über die Sarnus-Ebene nach dem Gebirge zu hat, während das Amphitheater fast in einer ähnlichen Vertiefung liegt, wie das von Syrakus.

Doch noch einmal kehren wir nach dem griechischen Theater zurück. Von seinem oberen Absätze führt eine Art Hohlweg in langsamer Steigung weiter in die Höhe. Tiefe Wagenspuren haben sich in den Felsboden eingedrückt, auf dem die Schritte des Wanderers von den Felswänden rechts und links wiederhallen.

 

Das Grab des Archimedes und die Katakomben


In den Wänden selbst aber bemerkt man zahlreiche flache Vertiefungen von viereckiger Gestalt; unter ihnen sind Eingänge zu kleineren und größeren Räumen. Es ist die Gräberstraße. Auch an dieser Stätte des Todes ist die Zerstörung eine vollständige gewesen. Die Grabkammern sind leer, die Thüren, mit denen sie einst geschlossen waren, verschwunden, und selbst aus jenen flachen Nischen, die man von außen bemerkt, hat man die Platten mit ihren Inschriften und Marmorreliefs herausgerissen.

Nicht besser ist es andern Gräbern ergangen, die sich zerstreut am ganzen Abhange der syrakusanischen Terrasse finden. Das berühmteste darunter ist das Grab des Archimedes. Bekanntlich wurde es von Cicero während seines Aufenthaltes in Sizilien wieder entdeckt.

"In Syrakus", erzählt er, "wußte man nichts mehr von dem Grabe des Archimedes. Ich machte mich also auf die Suche und fand es auch wirklich unter Disteln und Dornen. Ich hatte nämlich einige Verse im Gedächtnis, die auf dem Grabe stehen sollten und in denen es u.a. hieß, es befinde sich eine Kugel darauf nebst einem Cylinder. Während ich nun die ganze Gegend abstreifte – es liegt nämlich vor dem Agrigentiner-Thore eine Fülle von Gräbern -, sah ich eine Säule eben aus dem Gestrüpp hervorragen und auf ihr Kugel und Cylinder. Ich ließ die Stätte durch Arbeiter säubern und bloßlegen, worauf wir näher traten. An der Vorderseite des Fußgestelles las man noch das halbverwitterte Epigramm."

Es ist auf den ersten Blick klar, daß weder die Lage noch die Gestalt des von Cicero beschriebenen Grabes zu der jetzt so genannten "tomba di Archimede" paßt. Das letztere ist offenbar ein Familiengrab, dessen schlecht erhaltene dorische Fassade es in nichts von anderen Gräbern unterscheidet.

Von den zertrümmerten Griechengräbern führt ein Fußweg an der alten Kirche San Giovanni vorbei nach den Gräbern des Urchristentums, den Katakomben. Sie sind viel sehenswerter, als die Katakomben von San Callisto zu Rom vor Porta San Sebastiano, mit denen sich viele Besucher Italiens begnügen.

Ein Franziskanermönch öffnete und führte mich zuerst in die Krypta des hl. Marcian. Niedrige, massive Pfeiler stützen sie; an den Wänden erscheinen beim flackernden Lichte der zweiarmigen Lampe uralte, verblichene Fresken; auch die Säule sieht man, an welcher der Heilige gemartert ward.

Die Katakomben selbst sind so ausgedehnt, daß man sich ohne Begleitung in diesem unterirdischen Labyrinthe unfehlbar verirren würde. Und doch sind sie, im Gegensätze zu den Steinbrüchen von Syrakus, nach einem festen Plane angelegt. Breite Gänge, so sauber gearbeitet wie pompejanische Straßen, sind in das weiche Gestein gegraben; in ihnen sieht man rechts und links tiefe Nischen, die mit Gräbern angefüllt sind, zehn, ja zwanzig hinter einander.

An einigen Orten liegen die Gebeine zu ganzen Haufen zusammengelesen. Von Zeit zu Zeit kommt man an Lichtschachte, durch die ein flimmernder Sonnenstrahl fällt. Die Gänge münden auf runde oder viereckige Grabkammern, in denen vereinzelt große gemeißelte Sarkophage stehen; vielleicht haben vordem schon griechische Männer in ihnen geruht.

Andere Säle sind, wie man aus den Malereien abnehmen kann, als gottesdienstliche Versammlungsstätten benutzt worden. Alle diese Gemächer haben auf vier Seiten Thüren, die wieder durch einen dunklen Gang zu ähnlichen gewölbten Räumen führen. Wie weit sich die Grüfte eigentlich erstrecken, hat wohl noch niemand erforscht.

Der Führer zeigt nur einen kleinen Teil davon, und wer nicht zu besonderen Studien an diese Stätte gekommen ist, wird sich gern damit begnügen. Als wir endlich wieder ans Tageslicht traten und ich das zerrissene braune, mit einem Strick umgürtete Gewand meines jugendlichen Begleiters bemerkte, der mich freundlich in seine dürftig ausgestattete Zelle führte, konnte ich die Frage nicht unterdrücken, was ihn getrieben habe, Mönch zu werden.

"Die Sorge um das Seelenheil," erwiderte er. "Vor wenigen Monaten war ich noch Soldat in der Armee meines Vaterlandes." – "Was haben denn Eure Eltern zu Eurem Verhalten gesagt?" fragte ich weiter. – "Sie waren beide dagegen, der Vater wie die Mutter," versetzte er, "aber ich habe nicht auf sie gehört."

Und dann umschrieb er in längerer Rede den Spruch: "Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut, bleibet in Ewigkeit." Doch gab er auf weiteres Vorhalten zu, daß auch der im secolo, d.h. in der Welt Bleibende ein Gott wohlgefälliges Leben führen könne; für seine Person wollte er aber im Klosterleben das ihm Gemäße gefunden haben.

Ich schied von ihm unter dem Eindrucke einer mit sich selbst einigen, ruhig heiteren Natur, die ganz von dem Geiste des alten Christentums erfüllt war.

 

Das Grab des Grafen von Platen


Von der Stätte, wo griechische und altchristliche Gräber sich zusammendrängen, wanderte ich endlich noch nach einem einzelnen Grabe, das kein Deutscher unbesucht läßt. In dem Garten der Villa Landolina ist Platen begraben. Von schönen Bäumen umgrünt erhebt sich auf hohem Sockel die Marmorbüste des Dichters; Freunde und Verehrer haben sie im Jahre 1869 errichtet. So ist es wahr geworden, was der Dichter sich wünschte: daß seine Gebeine auf italischem Boden ruhen möchten,

"fern von der kalten Heimat,
Wo zu Reif einfriert an der Lippe jeder glühende Seufzer"

Der Künstler, der die Büste geschaffen, hat dem Dichter den Lorbeer aufs Haupt gedrückt, den die Zeitgenossen ihm versagten. Aber hat Platen dadurch aufgehört, einer unserer unpopulärsten Dichter zu sein? Es ist wahr, einige seiner Balladen kennt jedermann. Weiter aber pflegt die Kenntnis nicht zu reichen; die Sonette und Gaselen, sowie die Lieder finden wenige Leser.

Auf dem älteren, von Landolina errichteten Denkmale, das man neben dem neuen noch sieht, wird der Dichter als "Germaniae Horatius" bezeichnet. Ein treffender Vergleich! Wie dem Horaz strömte ihm der Gesang nicht aus dem tiefsten Borne der Begeisterung, noch erwuchs ihm "aus des Lebens bunter Fülle von selber die Blume des Liedes gleich einem Naturgewächs."

Und doch hat er Vorzüge genug, die ihn uns wert machen. Seine Verse erscheinen einer liebevollen Betrachtung keineswegs überall als kalte Form, wie der hergebrachte Tadel lautet, und auch in den antiken Maßen, die dem hypermodernen Treiben unserer Tage so anstößig sind, eint sich oft genug Fülle des Wohllautes mit sinnigem Gedankeninhalte.

Urlaub in Sizilien

Zu Zeiten von Ernst Ziegeler konnten sich nur wenige Menschen einen Urlaub auf Sizilien leisten. Heute kommen Sie mit dem Flugzeug in zwei Stunden vom Norden Europas zu einem der drei internationalen Flughäfen Siziliens. Dort bieten sich Mietwagen, Busse und Anschlüsse der Trenitalia zur Weiterfahrt an.

Der Tourismus ist mittlerweile einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Siziliens. Die Sonnen-Insel bietet daher viele Hotels. Ferienwohnungen mit deutschsprachiger Betreuung gibt es dagegen selten. In diesen drei Urlaubsorten ist das anders:

Hinterlasse einen Kommentar